Der Schwerpunkt der Arbeiten von Jessica Halm liegt in der Malerei. Die plastischen Arbeiten, die ausgelöst durch ihre Malerei entstehen, sind für Halm eine Möglichkeit, den zweidimensionalen Träger Leinwand als physisches Gegenüber zu erweitern und der Malerei einen realen raumeinnehmenden Körper zu geben. 
Das Körperliche ist inhaltlich, aber auch beim Malprozess für Halm ein wichtiges Element. 

Das Thema von Projektion, Macht, Abgrenzung, Beeinflussung und der sich daraus ergebenden Rolle und Position ist ein roter Faden, der sich durch Halms bisher entstandene Arbeiten zieht. Auf vielschichtige Weise sind die bildhauerischen, malerischen und drucktechnischen Werke von Jessica Halm ikonographisch und optisch miteinander verknüpft. Jessica Halm lässt ihre Gemälde und Skulpturen, je nach Kontext, in unterschiedlichen Formationen auftreten. Menschliche großformatige Extremitäten, „evolutionäre“ rote Füße mit Fingerzehen, überdimensionale Pinsel, voyeuristische Holzstangen und eine riesige zitronengelbe genähte und gestopfte Replik eines uralten ägyptischen Paares stehen, liegen und sitzen vor und auf Jessica Halms Bildern.
Das Band, was die so weit in historische und sensible Bereiche motivisch ausgreifenden Werke verbindet, ergibt sich aus dem Resonanzraum, der als optisches Medium die Dinge in lustvolle Schwingung versetzt.

Über Jessica Halm
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Textbeitrag von Ursula Panhans-Bühler im Ausstellungskatalog „Heathcliff,“ 2021

HEATHCLIFF – IM LABYRINTH AUS WEICHEN SEIDENDECKEN

Jessica Halms Installation in den Räumen des Marstalls von Schloss Ahrensburg führt zwei poetische Stränge zusammen: das Labyrinth, eine grafische und architektonische Figur, die weit in die  editerrane Frühgeschichte zurückreicht und bis heute nachwirkt, und eine Romanfigur, Heathcliff, romantischer Heldund Unhold aus Emily Brontës legendärem Roman Wuthering Heights, der Opfer seiner leidenschaftlichen Liebe und seiner Rache an den Einschränkungen einer puritanischen Gesellschaft wird. Was so zusammenkommt, ist die kulturelle und die seelische Dimension des Labyrinths, dessen gefährdende und verheißungsvolle Seite. „Heath“ bezeichnet eigentlich „Heide“ und „heathcliff“ den gefährlichen Raum, wo das Heidekraut über den Rand eines Moores hinauswächst und man nie so genauweiß, wann der Boden unter einem wegbricht und man versinkt.Die leidenschaftliche Seite umspielt Emily Brontës Romantitel Wuthering Heights, der mit „stürmische Höhen“ auf alles andere als landschaftliche Erhebungen anspielt. Der Weg durch das Heathcliff-Labyrinth kann also träge Empfindungen durchaus zu dynamisch widersprüchlichen Emotionen aufwirbeln.

Hierzu trägt eine entscheidende formale Neuerung in der Tradition begehbarer Labyrinthe bei. Die Ausbreitung dieses Heathcliff – Labyrinths als Softskulptur greift auf eine Entwicklung in der Kunst plastischen Handelns zurück, die sich in den 60er Jahren als Gegenströmung zur geometrischen Strenge des Minimalismusherausbildete. Mit weichen Materialien verlor die Skulptur bisweilen den festen Boden unter den Füßen, zog aber daraus auch produktive Konsequenzen, und so auch Jessica Halms softes Labyrinth. Weder ist es unterirdisch wie das mythologisch überlieferte, in dem Theseus seinem Alter Ego Minotaurus den Garaus gemacht hatte, noch ist es oberirdisch wie spielerischen Gartenlabyrinthe der Renaissance und des Barock. Wie die legendären Hängenden Gärten der babylonischen Semiramis hängt auch es zwischen Himmel und Erde, der Himmel vertreten durch die Raumdecke, die Erde durch den Fußboden des Innenraums. Der Kopf von Besucher*innen ragt nicht über die luftige Grenze seiner Wände, wohl aber reichen deren Beine über den unterenRand hinaus, in Tuchfühlung mit dem Boden. Umhüllt und umspielt von den stofflichen Wänden fällt der Blick der Besucher*innen durch Schlaufen, welche die Paneele lose verknüpfen, auf Nachbarwindungen des Szenarios. Das Gefühl der Verwicklung in dieses Labyrinth wird so gesteigert, andere Besucher*innen lassen sich im Vorübergleiten beobachten – und man selbst kann sich beobachtet oder ertappt fühlen.

Als neuartige Rauminstallation entwickelt dieses Labyrinth ein verführerisches Innenleben, mit Wänden, groß wie Betten und weich wie Bettdecken, die es umhüllen wie ein wohlausgestattetes Boudoir, das für französische, provozierend erotische Bilder des 18. Jahrhunderts typisch war. Schlaufen am oberen Ende der Paneele sind an Bambusrohre geknüpft, die einander luftig überschneiden; Schlaufen zwischen den Paneelen verbinden nicht nur deren Flächen, sondern skandieren mit skulpturaler Lebendigkeit den Fortgang durchs Labyrinth. Ihre farbige Mischung erzeugt erregende optische Brechungen und suggeriert ein imaginäres Rascheln dieses barocken Schlaufengewirrs. Die seidigen Paneele spannen sich nicht steif wie Leinwände auf Keilrahmen, vielmehr kräuseln sie sich leicht, hängen manchmal, ihr irdisches Gewicht unterstreichend, bauchig etwas durch oder sind als monochrome Flächen selber schon reliefartig strukturiert, changierend zwischen Licht und Schatten mit jeder Bewegung der Besucher*innen. Das Gefühl, eingehüllt zu sein, wird zusätzlich aufgeladen durch die Akustik. Die dichten Stoffe schlucken den Schall wie Tonstudiowände oder wecken Erinnerungen daran, wie man sich als Kind, von mehr als Neugier getrieben, vielleicht im elterlichen Kleiderschrank versteckte.

Die bearbeiteten Oberflächen der Paneele sind bedruckt mit Monotypien, überlagert von mit Pinseln aufgetragenen Zeichnungen sowie von Stickereien in einer Schraffentechnik. Das absichtlich Unsaubere der Monotypien verleiht den Oberflächen die Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit, aus der sie im Helldunkel ihrer Tönungen wieder auftauchen. Es bilden sich Farbverwandtschaften zwischen Oberfläche und Tiefe, ein erotisches Komödientheater im Dämmer der Halbtöne. Eingesunken in diese zugleich fern und nah wirkenden Räume finden sich Motive, herauspräpariert mit Grafitstiften aus den noch feuchten Monotypiedruckflächen. Wie flüchtige Echos begleiten diese als seltsam helle Schatten kräftigere, direkt aufgemalte Zeichnungen. Es entsteht ein Wechselspiel von sinnlicher Präsenz und untergründiger Tiefe. Gestickte Arabesken und Schlaufen verführen zur Berührung, als müsse man sich nicht nur ihrer plastischen Materialität, sondern zugleich der eigenen Realität versichern.

Die chromatischen Tönungen erzeugen fließende Bewegungen- ein enormes Vermögen der Künstlerin, mit anspielungsreichen Elementen offene Konfigurationen zu bilden, nicht nur klar umschriebene Bildideen. Mit schwebender Aufmerksamkeit entdeckt man das assoziative Momentum der optisch-motivischen Entwicklung, eher im Modus von darüber hinweggleitenden Augen als mit distanziert fixierendem Blick. Allzu klare Motive werden in eine atmosphärisch irisierende  Räumlichkeit getaucht mittels gehäufter Strichlagen in chromatisch abgemilderten Komplementärfarben.

Erotische Motive aus barocken oder impressionistischen Zeiten sowie der klassischen Moderne werden ergänzt von jeder Ordnung spottenden spontanen Graffiti-Häufungen sowie von frei dahintreibenden linearen Anspielungen auf erotisches Verlangen. Arme, sich ausdehnend wie Fangarme unter Wasser, röhrenförmig leicht gewundene, gurkenartige Lineamente, deren assoziative Potenz Betrachter*innen selbst sich weiter ausmalen können, üppige Kürbis-Duos, in Graffiti-Knappheit zu Strichweibchen ergänzt. Manchmal tauchen diese Rundungen auch, groß herausgestellt, im Zentrum einzelner Paneele auf, öffnen sich ohne Umschweife als melodische Brüste wie ein Vorhang über einem weiblichen Unterleib, der eine optische Anspielung auf eine ins Haus stehende Ménage-à-trois enthüllt.

„Heathcliff“ … „Heathcliff“… – wie ein akustischer Beat den erotischen Herzschlag animierend, taucht der Name oder die Situation auf, die er beschwört, aufgezeichnet oder gedruckt als Graffiti-Hieroglyphe oder gleich mehrfach aufgestickt als ineinander verwobene Arabeske, kunstvoll endend in überlangen Serifen, Ton in Ton auf einer l’amour-bleu-farbigen Deckenoberfläche. Zerreißproben

von Leidenschaften werden nicht ausgeblendet, sondern raffiniert angespielt, so z.B. in einer eher statischen Szene im artig-anmutigen bürgerlichen Milieu. Schockartig taucht dort eine seltsame weibliche Figur auf, das Gesicht verhüllt von wirr herabhängenden dunklen Haaren und verstörende Blutspuren auf Haar und Gewand, als wäre sie die gespenstische Wiederkehr einer Charlotte Corday nach ihrer exzessiven Badewannenaffäre, deren Präsenz Jacques-Louis David in seiner stilisierten Totenklage „À Marat“ optisch mit gutem Grund ausgeklammert hatte.

Herausfallend, als würde sie die strukturelle Unterscheidung zwischen Vorder- und Rückseiten der Paneele durchkreuzen, wirkt eine lachsfarben leuchtende Decke, einzig bestickt mit einem ovalen Ornament im Zentrum. In dieser Konfiguration der Installation bezeichnet das Paneel den Wendepunkt des Heathcliff- Irrgartens. Gestaltet als Mapping der gewundenen Gänge eines Labyrinths endet die Stickerei im Zentrum mit einem humoristisch provozierenden Fragezeichen. Zudem, leicht gekräuselt durch die Spannung in den Schraffen der Fadenstickerei, wirkt das Ganze nun als eine verschmitzt ironische Anspielung auf eine Weiblichkeitsaureole.

„Sex sells“, kommentieren Mocmoc und Mermer, zwei Pokémon- Figuren des Schweizer Künstlerduos Com&Com, in einer Videoaufzeichnung ihres Museumsbesuchs die Überfülle erotischer Bilder und Objekte. Erotik, das „bewegte Beiwerk“, um Aby Warburgs berühmte Signatur für die kulturelle Verhandlung leidenschaftlicher Erregung zu zitieren, scheint im zeitgenössischen Diskurs eher eine vernachlässigte Rolle zu spielen, aus den Augen geraten wie Walter Benjamins „bucklicht Männlein“. Jessica Halms Heathcliff-Labyrinth trägt diesem Mangel Rechnung. Mit humorvoller Verführungskraft, unerschöpflicher Phantasie und künstlerischem Wagemut umgarnt ihre Installation die Besucher. Das mythologische Labyrinth des griechischen Altertums, aus dessen Abgründen sich Theseus mit Hilfe von Ariadnes Faden befreite, verdankt sich wohl keiner architektonischen Manifestation, sondern einer technisch-manipulativen Rationalisierung. Ariadnes Labyrinth war eher eine frühgeschichtliche rituelle Tanzfigur, die halbnackte Frauen – oben ohne – verbunden durch ein Seil als Symbol der Nabelschnur aufführten. Dieser Faden der Ariadne jedoch breitete sich als Labyrinth-Idee bis in die labyrinthische Verschwiegenheit unserer Ohrmuscheln aus. Als labor intus – innere Arbeit – aus dem Griechischen ins lateinische Verständnis übersetzt, wurde es zum Inbild eines seelischen Bewegungsraums der Leidenschaften, die sich sponte sua, – eigenwillig – modellieren und transformieren, aber auch verstockt abspalten oder verdrängen lassen. Das Labyrinth als solches aber ließ sich nicht überwinden oder verlassen. Oder, wie die dänische Poetin Inger Christensen in ihrer Erzählung Das gemalte Zimmer berichten lässt: „Wenn wir das Labyrinth nicht finden konnten, (…) dann deshalb, weil es nie gefunden werden kann, weil es (…) sich überall findet, so daß wir immer im Labyrinth drinnen sind und eigentlich größeren Grund haben sollten zu glauben, daß wir es finden können, als wir selber ahnen; aber es geschieht nie, denn mit jedem Schritt, den wir tun, bewegt das Labyrinth sich mit uns zusammen, in genau derselben Geschwindigkeit und Richtung wie wir selber.“

Also eine durchaus ernst zu nehmende Situation – „Oder haben Sie jemals beim Liebemachen gelacht?“, wie Duchamp auf eine briefliche Anfrage von Serge Stauffer zurückfragte. Ja, aber, könnte man fortsetzen, im vielfältig „bewegten Beiwerk“ erotischer Vorspiele versucht Humor in Worten und Gesten noch immer sexuelle Ängste zu traktieren oder hinwegzuspülen. Omnia vincit Amor, alles besiegt Amor, das kleine Flügelwesen mit den blind und ungestüm verschossenen Liebespfeilen.

Die Kunst der Erotik und die erotische Kunst verleihen diesem Versprechen Ausdruck – und so ist es auch die produktiv künstlerische Wunschenergie, die Jessica Halm mit ihrem Heathcliff – Labyrinth antreibt.


Metamorphosen einer Puppe        

Je me suis fait tout petit devant une poupée / qui ferme les yeux quand on la touche / je me suis fait tout petit devant une poupée / qui fait maman quand on la couche, „ich habe mich ganz klein gemacht vor einer Puppe, die die Augen schließt, sobald man sie berührt / ich habe mich ganz klein gemacht vor einer Puppe, die Maman sagt, sobald man sie hinlegt“, heißt es im Refrain eines zärtlich melancholischen Chansons des französischen Sängers Georges Brassens, das die Grenzen verschwimmen lässt zwischen Puppe und menschlicher Geliebter.
Für Jessica Halm’s neuere Malerei begann alles mit einer Puppe, und zwar im Format eines Großmonsters.
Deren Glieder sind an der Nähmaschine aus Malerleinwand genäht und anschließend ausgestopft mit Kunststoffflusen mithilfe eines Holzstocks, in einer ständigen Bewegung von rein-raus. Sexuelle Untertöne schwangen im Vorgang der Fabrikation mit, kehrten ihr Zentrum schließlich in der Puppe hervor, in einer angeschwollenen hufeisenförmigen Pussy, in die ohne Umschweife eine riesige dunkle Hand fasst. Obendrein rollen sich die Beine schlangenförmig ein, wie wir es von Mischwesen aus der antiken Mythologie kennen, und am anderen Ende des Körpers rollt sich der Kopf zum Medusengewirr eines Schlangennests. Corpus und Gliedmaßen der Puppe, sowie deren Bewegung und Position durchliefen mehrere Phasen immer neuer Proben, und ebenso war es lange in der Schwebe, welche Bemalung die Puppe erhalten sollte, wobei so extreme Möglichkeiten, wie rot oder schwarz ausprobiert oder in Erwägung gezogen wurden. Schließlich wurde sie deftig punky partiell farbig bemalt, streifig die Beine mit rot, gelb und schwarz, und Pussy, Hände und Kopf in Grau oder fettem Schwarz. Zwischenzustände der Puppe hielt die Künstlerin in Fotos fest. Nun sitzt sie auf einem modernen, Sitzfläche und Lehne blau bespannten, rhythmisch nachgiebigen Freischwinger, triumphierend in splendid isolation, und könnte es wohl mit De Kooning’s aus vielen Verwandlungen aufgetauchter Woman I aufnehmen, die deren Urheber seinerzeit, fasziniert und beunruhigt zugleich, sorgfältig einrollte, um sie erst einmal einer direkten, optisch provozierenden Konfrontation zu entziehen.
Wir wollen uns nun nicht in eine nahe liegende psychologische Interpretation verstricken, die nicht nur sterbenslangweilig ausfallen, sondern obendrein in die Irre führen könnte. Vielmehr wollen wir der Frage nachgehen, welchen Weg die Puppe in die neuere Malerei von Jessica Halm genommen hat. Hierfür sind zwei Momente entscheidend. Einerseits gibt es ein farbloses kleines Gegenstück zu der Großpuppe, welches ebenfalls die künstlerische Arbeit weiter begleitet hat, in seiner roh belassenen Leinwandoberfläche ein wenig geisterhaft oder träumerisch abwesend wirkend, zumal nur die Extremitäten, nicht jedoch der Corpus ausgestopft sind. Andererseits hat die Monsterpuppe nicht nur mit all ihren motorischen und farbigen Zwischenstufen oder Paraphrasen auf die weitere Malerei eingewirkt, sondern auch schon während ihrer Entstehung Ideen einer Kombination mit malerischen Seitenstücken oder Hintergründen ausgelöst.
In ihrer fertigen Erscheinung landete die Monsterpuppe schließlich auf einer riesigen, von der Decke bis über den Boden ausgelegten Leinwand, vergleichbar einem Greenscreen-Hintergrund, nur dass in diesem Fall die Leinwand – im Beisein der Puppe im Zentrum – bemalt wurde. Die formalen und farbigen Eigenschaften der Puppe lösten optische Assoziationen aus, eine frei schwingende, sich überlagernde Rhythmik von Formen und Farben, die in der Mitte aussetzte, wo sie den Raum der Puppe überließ. Letztere wurde schließlich abgelöst vom souveränen Humor eines isolierten Riesenfußes, dessen gespreizte Zehen und leuchtend blaue Vorderseite – möglicherweise anstatt einer blauen Blume – mit der Komposition auf der bemalten Leinwand voll sprühendem Witz und Lebendigkeit interagierten.
In diesem Stadium hatte Jessica Halm’s neuere Malerei sich mithilfe ihres Ausgangspunkt, der Puppe, soweit transformiert, dass die Bilder von deren direkter Präsenz unabhängig werden konnten, obwohl sie weiter in motivischen Anspielungen und in der Ausarbeitung des Formenvokabulars durchschimmert. So sind eine Reihe großer, in Farbwahl und Motiven unterschiedlichster Leinwände entstanden, die jedoch einige Charakteristika verbinden. Die Bildenergien folgen einem mehr oder weniger ausgeprägten Aufwind, in dem sich die Formen ausbreiten und zu den Rändern ausdehnen. Die farbigen Formen sind so ineinander verstrickt, dass der Grund sich verliert, Reste sind stellenweise hell übermalt, um als Tiefenlicht durchzuschimmern und mitzusprechen. Formen können auftauchen, sich verändern und sich verlieren. Breite winklige Pinselstriche wechseln mit schlangen-, röhren- oder fingerförmig gerundeten ab, transparente Umrissschlingen mit opak gefärbten. Der Farbauftrag überlässt zufällige Spuren nicht allein dem Pinsel als Werkzeug, sondern geschieht öfters direkt mit den Fingern, übersetzt sich manchmal in raue Pranken eines winkligen Arms oder häuft dünne Schraffen zu bewegten Armen. Hinzu kommen fett direkt aus der Farbtube gedrückte Linien, manchmal wie ein Echo auf schon vorhandene Formen reagierend, manchmal mit einer motivischen Assoziation spielend. Das Formenvokabular steht nicht nur in Beziehung zu den Gliedern der Puppe, sondern nimmt auch die Formnegative, die sich bei deren Herausschälung aus der rohen Leinwand ergeben haben, in sich auf und übersetzt sie manchmal zu bildbestimmenden Motiven. 
Bei Jessica Halm’s Bildwelt mögen sich unterschiedlichste kunstgeschichtliche Reminiszenzen einstellen, jedoch gehören diese eher ins mitspielende Formengedächtnis der Künstlerin oder aber eines Betrachters. Nirgends beeinträchtigen sie die eigene, übrigens enorm mutige Kreativität. Vielmehr mag man überrascht sein, wie derartige Anregungen in die eigene Bildsprache übersetzt worden sind, egal ob es sich um Eigentümlichkeiten der klassischen Moderne oder der neueren Kunst handelt, beispielsweise eines Miro, Kandinsky, Leger, oder Arshile Gorky, Kippenberger, Brice Marden, und schließlich einer Yayoi Kusama.
Die Puppe hat eine amüsante Auferstehung und ein farewell zugleich in einem neueren Bild erfahren, was – richtig verstanden – beim Betrachter ein spontanes, komplizenhaftes Lachen auslösen kann. So wie in anderen Bildern von Jessica Halm manchmal eine fast haptisch greifbare Anspielung auf eines der Gliedmaßen der Puppe auftaucht, ist es in diesem Bild eine gleichsam kultisch aufgerichtete Gurke – über der Yves Klein blauen Pussy, umrahmt und gesockelt von Schlangenbeinen, und Gurke und Becken von wilden, rot, grün und schwarz gezogenen Fingerfahrern, die in Armschlingen übergehen, umtanzt mehr als umgeben. Die Hände kommen jedoch nicht zu ihrem Ziel. Die mit ornamentaler Symmetrie spielende, hieratische Komposition erzeugt mit der optischen Paraphrase der plastischen Glieder der Puppe zugleich ein geisterhaftes Negativ, ein frei in der Luft schwebendes Phallusphantom, was zusammen mit den schwarzen Beinstreifen an eine alte Heckenschere erinnert. Der orangefarbene Streifen, der den unteren Bildrand markiert, signalisiert weniger einen Boden als einen markanten Schlussstrich unter dieser anspielungsreichen Levitation und zeigt zugleich den souveränen Umgang der Künstlerin mit ihrer bisherigen plastischen und malerischen Erfahrungsgeschichte.
So wie in diesem Bild die Formen ein anspielungsreiches Zueinander ergeben, sucht Jessica Halm auch in anderen Bildern nach einem offenen Zusammenspiel der Elemente, das der Phantasie Raum lässt, indem Motivisches über Form- und Farbenergien nicht die Oberhand gewinnt. So wird man beispielsweise eine Weile brauchen, bis man die kleine Puppe in einem dynamisch bewegten und farbig leuchtenden Bild erkennt, in dessen Zentrum vom Rand ein Riesenfinger vorstößt, dessen Oberfläche an die ausgestopfte Großpuppe denken läßt. In einem anderen Bild erinnert ein abstrakter kräftiger Bogen in Schwarz und Weiß an deren Schlangenbeine, und man mag, sobald man diesen Zusammenhang erahnt hat, in der kräftigen Dynamik sich an die gesamte Puppe auf ihrem Sessel erinnern, während sich der Blick schmunzelnd auf den Knotenpunkt der Komposition mit einer geisterhaften Hand am Ende einer fetten Armkontur richtet, die ein schneeweißes schwebendes Hörnchen umgreift. Der Blick findet jedoch von solchen Fokussierungen auf Einzelelemente in allen Bildern immer wieder zurück auf den dynamischen Zusammenhalt und die enorme Energie der gesamten Komposition.
 In der Entwicklung von Jessica Halm’s Malerei kann man aber auch eine Art Wechsel sehen in der Verbindung von lyrischen und dramatischen Momenten. Diese waren immer beide zugleich da, jedoch überwog in früheren Bildern das lyrische Element, getragen von eher zarten farbigen Tönungen und offenen, den Grund überlagernden Lineamenten, während in den neueren Bildern kräftigere Farben und Formen, sowie energetische Spannungen entscheidend sind. Man kann daher gespannt sein nicht nur auf Jessica Halm’s weitere Malerei, sondern auch auf die Entwicklung ihrer nächsten plastischen Ideen. Die Hand der Puppe hat sich inzwischen schon über eine isolierte Riesenhand transformiert zu abstrakteren ausgestopften Formen, die schlangenartige Windungen, pflanzenartige Einrollungen und gliederförmige Winkel miteinander verbinden und einstweilen als chaotisches und zugleich wohlgeformtes Gestrüpp aus einer Box hervorbrechen. Jessica Halm ist es in der nun gezeigten Werkgruppe gelungen, das Motiv der Puppe in eine optische Bildsprache zu übersetzen, die aus der Fokussierung eines Details, was verständlicherweise alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte, eine Passage in eine vielschichtige, optisch kluge und lebendige Malerei gefunden hat.

Ursula Panhans-Bühler, Text Katalog Atelier Emozioni, 2012


„Mehr als ein Bild“. Vom räumlichen Gegenüber im Werk von Jessica Halm

 

Wie ein Hybrid aus Gemälde und Skulptur erscheint Jessica Halms Bizarro Baby (2014). Das Gemälde hängt nicht an der Wand, sondern steht auf Stoffhänden, die mit Hilfe von Holzlatten am Keilrahmen befestigt sind. So scheint es, als mache das Gemälde Handstand. Doch bei näherem Herantreten wird klar, dass die Malerei keineswegs Kopf steht, was beim Betrachter ein paradoxes Verhältnis zur Physiognomie der Arbeit hervorruft – zumindest im ersten Moment. Tritt man dichter heran, geraten die Objekthaftigkeit und das aufgeworfene Paradox aus dem Blickfeld. Auch die gestische Malerei, die weite Teile des Gemäldes beherrscht, zerfällt in einzelne Pinselstriche und die zunächst nur schemenhaft zu erkennende gelbe Darstellung im Zentrum gewinnt an Bedeutung, gibt sich als Szene aus dem Comic Superman Bizarro zu erkennen; einem Comic über die fehlerhaften Klone von Superman und Lois Lane, die auf einem Planeten leben, auf dem alles in sein Gegenteil verkehrt ist.
Die ausgewählte Szene zeigt Bizarro Baby, das makellose Kind von Bizarro Superman, wie es beim Blick in eine Pfütze erkennt, dass es anders ist als alle anderen Bewohner der bizarren Parallelwelt. „Mommy! Daddy! Why me look so different from you?“ – es ist das Sehen und Erkennen, das im Zentrum des Gemäldes von Jessica Halm steht. Damit wird die Szene zu einem Sinnbild für einige der jüngsten Arbeiten der Künstlerin, in denen sie sich mit dem Blick, dem Betrachter und der Betrachtung als körperlichem Prozess auseinandersetzt. Es ist die Komposition des Gemäldes, die einen auffordert, sich körperlich zu ihm zu verhalten. Man muss es aus der Nähe wie aus der Ferne betrachten, um all seine Facetten zu erfassen. Den Akt der Betrachtung, der bereits in der narrativen Szene anklingt, rückt Jessica Halm ganz unmittelbar durch das Zusammenspiel des Gemäldes mit einem dreidimensionalen Gegenüber ins Bewusstsein. Die Inszenierung mit der Skulptur Betrachter I (2013) lenkt die Aufmerksamkeit auf die physische Haltung, die man im Moment der Betrachtung zu einem Werk einnimmt. Trotz der reduzierten Formensprache, wirkt die Skulptur aufgrund ihrer Größe sowie der angedeuteten Körperteile menschenähnlich, steht zudem in Beziehung zu ihrem Gegenüber. Tritt man an die Inszenierung heran, wird man vom Außenstehenden, der den Moment der Betrachtung betrachtet, zum Teil der Szenerie, zum gleichberechtigten Gegenüber der Skulptur. In ihrer Inszenierung bietet die Künstlerin dem Betrachter damit die Möglichkeit, die eigene Position zu reflektieren.
Mit der skulpturalen Erweiterung ihrer Gemälde arbeitet Jessica Halm seit 2012. In der Regel stehen ihre Skulpturen dabei in direkter Verbindung zu ihren Gemälden. So auch in der Präsentation der Arbeiten The Artist’s Wife (2013) und Betrachter II (2013). Auch hier nimmt eine Skulptur mit reduzierter Formensprache die Position des Betrachters ein. Holzlatten deuten Beine und Füße an; dabei ist es nicht zuletzt die Ausrichtung der Füße die von Bedeutung ist, da sie auf die Blickrichtung der Figur verweist. Dem Unterkörper ist ein einzelner Arm aufgesetzt; wie andere plastische Arbeiten der Künstlerin ist dieser aus Stoff gefertigt. Auch hier erinnert die Zusammensetzung der Körperteile an eine Person, die sich dem Gemälde zuwendet.
The Artist’s Wife und Betrachter II trafen erstmals in einem kleinen, recht engen Raum aufeinander. Die intime Inszenierung im Ausstellungsraum entsprach damit dem Sujet des Gemäldes. Für ihre Arbeit kopierte Jessica Halm das Gemälde Interior. The artist’s wife (1889) des dänischen Künstlers P.S. Krøyer, das eine Frau zeigt, die in einen Handspiegel blickt und sich frisiert. Mit dem eigenen Abbild beschäftigt, bemerkt sie nicht, dass sie beobachtet wird. Es sind die Blickbeziehungen zwischen Modell, Künstler und Betrachter, welche die Künstlerin interessieren. Die Spannung zwischen dem Betrachten und dem Betrachtet-Werden, das Spiel mit dem Blick führt Jessica Halm in der Inszenierung ihrer Version des Gemäldes fort. Sie nimmt direkten Bezug auf den Voyeurismus in Krøyers Gemälde, verwehrt jedoch dem Betrachter Teil der Situation zu werden. Anders als in der Begegnung von Bizarro Baby und Betrachter I, lassen der enge Raum und die Positionierung der Skulptur dies nicht zu. Die Skulptur wird zum Störfaktor. Der Ort des Betrachters ist besetzt, er bleibt außen vor, ist nicht länger Bezugspunkt der intimen Komposition des Gemäldes. Die Leerstelle im Bild wird durch die Skulptur gefüllt. Fast schon könnte man von der Skulptur als einer Art Prothese sprechen, die an die Stelle des realen Betrachters tritt und damit die Betrachtung selbst sichtbar macht. Halm spielt auch hier mit einer Tautologie des Betrachtungsmoments.
Das Ende des 19. Jahrhunderts so häufig gemalte Sujet des voyeuristischen Blicks greift Jessica Halm auch in ihrer Installation Zurück in den Planeten Gala (The Yellow House) (2014) auf. Das von ihr kopierte Gemälde Jeune femme se poudrant (1889–90) von Georges Seurat zeigt ebenfalls eine Frau in einem Interieur. Sie sitzt an einem kleinen Tisch, den Blick in einen Spiegel gerichtet, die Puderquaste in der Hand. Auch sie nimmt von ihrem Betrachter keine Kenntnis, ist ganz auf den eigenen Anblick konzentriert. Einem Zitat gleich, bettet Jessica Halm das Gemälde in eine abstrakte Malerei ein. Eine gelbe Skulptur, die dicht vor der Malerei steht, verweist in ihrer aufstrebenden Form auf die Szene Seurats, leitet den Blick des Betrachters. Die intime Interieurszene steht in dieser Art der Inszenierung somit wesentlich exponierter dar, als die zuvor beschriebene von P.S. Krøyer. Für die Präsentation in einer Wandvitrine zunächst als eine Arbeit konzipiert, wurden die Werke in der Folge auch einzeln ausgestellt, wodurch sich nicht zuletzt die Skulptur, die zunächst wie ein Auswuchs der abstrakten Malerei erschien, verändert. Sie gewinnt an Plastizität, kann sich erst in der singulären Präsentation in ihrer Allansichtigkeit behaupten.
Dieser Prozess des Herauslösens ist beispielhaft für den Umgang der Künstlerin mit ihren Werken. Jessica Halm lässt ihre Gemälde und Skulpturen, je nach Kontext, in unterschiedlichen Formationen auftreten. Immer handelt es sich um eine kalkulierte Zusammenstellung. Auch wenn sie zunächst als Einheit konzipiert wurden, stellen die Werke nicht zwangsläufig ein festes Ensemble dar. Als eine Art „hyperimage“ verbildlichen sie im Zusammenspiel den Moment der Betrachtung.  In der Offenheit ihrer Arbeitsweise bietet die Künstlerin dem Rezipienten somit die Möglichkeit, ihre Werke aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und damit unterschiedliche Aspekte der Werke kennenzulernen. Sie sensibilisiert den Betrachter für eine Pluralität an Sichtweisen, macht deutlich, dass es den einen Betrachterstandpunkt nicht gibt.


Merle Radtke, Text Katalog The limited Powers of Retention, 2015

[1] Vgl. Jessica Halm, Atelier Emozioni, Hamburg 2012.
[2] Vgl. Felix Thürlemann, Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage, München 2013.


Das unbeschränkt kreative Vermögen von Resonanzräumen

Von einem deftig erotischen Triebschlangenabenteuer mithilfe eines Formwechselspiels zwischen Malerei und Skulptur - „Atelier Emozioni“, so der Name des Projekts für die Einzelausstellung Anfang 2013 in der Hamburger Galerie Feinkunst Krüger – hat Jessica Halm den Weg in einen transformierenden Nachhall dieser Erregungen gebahnt. Dieser stützt sich einerseits auf sehr weit entfernte historische Referenzen, altägyptische Kunst und deren Hieroglyphen, andererseits auf näher liegende, wie die Malerei des Impressionismus. 
Skulptural ist der Solitär eines schaurig faszinierenden Schlangenmonsters - „Puppe“ aus der früheren Ausstellung - nun von einem gelassen auf seinen Thronen sitzenden ägyptisierenden Figurenpaar abgelöst worden, einer Nachbildung von Rahotep und Nefret, Skulpturen eines Ehepaars aus der IV.Dynastie des Alten ägyptischen Reiches. Deren eingelegte Glasaugen wirkten noch auf die Ausgräber des späten 19.Jahrhunderts derart bannend, als sie die Mastaba bei Meidum in Unterägypten öffneten, dass sie augenblicklich erschreckt das Weite suchten. Jessica Halms Paar mag einen Schock aufgrund der Farbe auslösen – monochromes Zitronengelb für die Throne und ebenso rundum für die aus Stoff zusammengenähten und nachträglich eingefärbten – Öl auf Leinwand - Figuren.  Geht man die Längsachse der diesjährigen Ausstellung in Ralf Krügers Galerie, „The Limited Powers of Retention“ entlang, wird man schon von weitem von der enormen Leuchtkraft der tief in das Trägermaterial eingesunkenen, samtig schimmernden Ölfarbe angezogen. Und sobald man nicht mehr nur die Füße mit den gespreizten dicken Zehen sieht, sondern  das ganze Paar in seiner Ausstrahlung, stolpert man optisch über ein zunächst verstecktes Paar tiefrot leuchtender Füße mit überlangen knöchernen Zehen, die mit ihrer fühlerartigen Ausrichtung so ansteckend wirken, als habe man sich selbst ertappt auf einem vorwitzigen Weg.
Wie in einen erweiterten optischen Echo-Raum sind die beiden thronenden Figuren eingespannt zwischen eine Leinwand hinter ihnen – „Open Window“, ein zart getönter, überirdisch atmosphärischer Raum in flirrendem Licht, schwerelos wie eine paradiesische Fata Morgana – und ein Bild ihnen gegenüber, das einen Mann zeigt – „Double View“. Dieser ist ebenso mit lockeren Strichen auf die Leinwand  flüchtig gezeichnet, jedoch in blauen und schwärzlichen Tönungen und - als Konfiguration einer leeren Mitte - eine Reminiszenz an die weit in den Raum ausgreifende Leinwand „Never ending Doll Painting“ aus Jessica Halms voriger Ausstellung, deren Mitte schließlich statt mit Monsterpuppe unverblümt von einem monströsen blauen Fuß belagert wurde. Das  gesichtslose Brustbild des Mannes ergibt sich allein aus den Aussparungen des - mit Warburg zu sprechen - bewegten Beiwerks, das ihn wie ein cooler emotionaler Ansteckungswunsch zu umspielen scheint. Betrachter, gefangen in projektiven Sehnsüchten, mögen sich in der Leerstelle wie im leeren Spiegel seelischer Unkenntlichkeit wiederfinden, oder aber sich fragen, wer hier und warum angesichts des thronenden Paares sich in physiognomisches Schweigen hüllt. 
Die taktile Präsenz von Jessica Halms früheren Arbeiten ist in der neueren Werkgruppe optischen Resonanzen gewichen, einer künstlerischen Handhabung ihrer Bildmittel, die nicht allein den Umgang mit Farblicht und zeichnerischen Formen betrifft, sondern in Malerei und -  neu in ihrem Werk - Monotypien auch den Umgang mit Bildmotiven. Hierfür scheint noch einmal ein Zweig der ägyptischen Kunst eine auslösende Rolle gespielt zu haben, nämlich deren hieroglyphische Bilderschrift. 
So gibt es unter den Monotypien ein Blatt – „An ancient Tale“ - mit in Zeilen aufgereihten modernen Hieroglyphen, skizzenhaften Zeichnungen, die mal kenntlich wie erste Ideen für Bilder oder Skulpturen wirken, mal in ihrer szenischen Syntax anspielungsreich erzählerische Zusammenhänge in der Schwebe halten. Zudem scheint es offen, ob die Bilderkürzel verbindlichen Satzzusammenhängen oder einem losen Assoziationsgefüge der Phantasie, einem freien Gedankenstrom kalligraphisch Form geben.  Jedenfalls werden sie als solche in weiteren Monotypien paraphrasiert, so etwa in einem einander zugewandten Paar, dessen Silhouetten aus derartigen Zeichen gebildet sind, als wären es den ganzen Körper durchströmende, rätselhafte Gedankenfluchten, im Negativ weißer Schatten weiterströmend in den Raum, der sie umgibt.
Die Monotypien sind mit Ölfarbe auf Glas als Druckstock und Papier für den Abdruck in zwei, manchmal auch drei Druckvorgängen entstanden, gelegentlich auch mit Ausschabungen aus der noch nassen Farbe. Eine auf dem Glas aufgetrocknete Ölfarbenschicht wird für den zweiten Druckvorgang stehen gelassen, manchmal auch für ein weiteres Blatt verwendet. So etwa im Fall des stehenden Paares, das in einem zweiten Blatt nun schemenhaft als ausgespartes Negativ noch einmal erscheint, eingetaucht in einen schattengrauen Raum als flüchtige weiße Schatten. Das Resultat der ingeniösen Drucktechnik erzeugt zweierlei. Einerseits sind die Drucke auch für die Künstlerin, selbst bei wachsender Vertrautheit mit dem quasi alchimistischen Materialprozess, nicht völlig vorhersehbar. Mit dieser Preisgabe einer absoluten Kontrolle geht jedoch nicht nur ein Moment der Überraschung einher, sondern zugleich tauchen die Blätter wie Zeugnisse aus einer anderen Realität auf.  Die Zeichnung verliert im Druckvorgang an Schärfe, wird zudem mit einer zweiten Schicht verdünnter Farbe in ein atmosphärisches Fluidum getaucht, eine optische Tiefenbrise, die allen Blättern etwas Erscheinungshaftes verleiht, auch jenen der Serie „Die Rippen rechnen“ mit ihren spröden, skandierenden Rippenstrichen. Zugleich ergibt sich ein schwebender Eindruck, vergleichbar der Rolle des Lichts in der impressionistischen Malerei, von der sich Jessica Halm ebenfalls inspirieren ließ. Die Plainair-Malerei des Impressionismus eignet sich eigentlich nicht für Reproduktionen in normalen Bildbänden, die – an der Dominanz der Schriftspiegel in Lesebänden orientiert – für gewöhnlich im Hochformat gedruckt werden. Und auf impressionistischen Bildern im Hochformat, so die Künstlerin, scheint z.B. der voluminöse Reifrock der Damen, die Tournüre des 19.Jahrhunderts, nur schwer seinen Platz zu finden. Warum also nicht, unterstützt von der Plainair-Levitation, die Motive zu kippen und kreuz und quer in Bilder einzuschleusen – wie beispielsweise in dem  kreisförmigen Tondo „Impressionistischer Rock“, wo schon das zeichnerische Geflecht von Rot und Grün in einer optischen Wahrnehmungsvertauschung zu flimmern scheint. Jedenfalls wird der Blick vom Ikonographischen weg ins fluide Medium einer dynamischen Zeichensprache abgelenkt, bevor die motivische Neugier Damen in Reifröcken mit Sonnenschirm, Pärchen im zeichnerischen Gestrüpp, einen Maler sitzend vor seiner Staffelei etc. herausfiltern kann. – Wer sagt denn, dass es mit aufrechtem Stehen allein getan wäre. Selbst die ägyptische Hieroglyphik und Gartenmalerei erlaubt sich hier gelegentlich andere Gesetze, und möglicherweise macht Jessica Halm in der Serie „Forces of Gravity“ darauf eine witzige Anspielung in einer Monotypie, die in einem CanCan-Sonnenrad schwingende Beine um das Gestirn wirbeln lässt.
Auf vielschichtige Weise sind die bildhauerischen, malerischen und drucktechnischen Werke in Jessica Halms aktueller Ausstellung ikonographisch und optisch miteinander verknüpft.  „The Limited Power of Retention“ war schon das Thema des waghalsigen Ausbruchs aus der „Power of Retention“ in ihrer vorigen Einzelausstellung. Die aktuelle Schau konfiguriert die Ambivalenzen des Leidenschaftlichen auf eine neue Weise, die – so könnte man sagen –Betrachter in eigene offene Fragen mit Zuversicht, Wärme und Humor verstrickt. Das Band, was die so weit in historische und sensible Bereiche motivisch ausgreifenden Werke verbindet, ergibt sich aus dem Resonanzraum, der als optisches Medium die Dinge in lustvolle Schwingung versetzt. Die Schatten aus Platons Höhle, auf die mit dem Titel einer Werkgruppe der Monotypien „A und E und das Höhlengleichnis“ angespielt wird, in der sich das eingangs erwähnte Hieroglyphenblatt, das ägyptische Paar, seine modernen Gegenstücke, sowie deren weiße Schatten wiederfinden, werden nicht als illusionär herabgesetzt. Im Gegenteil, sie fesseln noch immer – Repräsentanten der nicht auszulöschenden Stimme des Begehrens.  

Ursula Panhans-Bühler, Text Katalog The limited Powers of Retention, 2015


„More than a picture“

Jessica Halm’s Bizarro Baby (2014) appears to be a hybrid of a painting and a sculpture.

The painting does not hang on a wall, but stands on hands of cloth which are fixed with wooden boards to the frame. It seems as if the painting does a handstand. By stepping closer
one realizes that it does not stand on its head, but to the viewer appears to trigger a paradocical relationship to the physiognomy of the work.  At stepping even closer the object and the sense of paradox vanish from the field of vision and the gestural painting (Malerei) dominating large parts of the work falls apart in individual brush strokes. The yellow picture in the center,  which in the beginning is only vaguely visualized, gains importance and can be recognized as a scene from the comic Superman Bizarro.  It is a comic about the flawed reject clones of Superman and Lois Lane, who live on a planet on which everything is opposite to the norm.
The selected scene shows Bizarro Baby, the perfect child of Bizarro Superman, which by looking into a puddle realizes that he is different from all the others inhabitants of the bizarre parallel world. „Mommy! Daddy! Why me look so different from you?“  - it is the perceiving and recognizing that is at the center of Jessica Halm’s painting. This scene becomes a symbol for some of the new works of the artist, in which she deals with the view, the perceiver and the perception as a physical process. It is the composition of the painting which calls for a physical reaction to it. One must take a close and a distant look in order to realize all of it facets. The act of observation, which is already hinted at in the narrative scene, is moved into consciousness by Jessica Halm directly through the interaction of the painting with a three dimensional counterpart.  Just the act of placing the sculpture Observer I (2013) is giving attention to the physical posture which one is taking at the moment of observing the painting. In spite of its reduced form the sculpture seems almost human because of its size and its suggested body parts and also in relationship to its counterpart. When one steps towards the installation one becomes from being an outsider, who observes the moment of the observation, to being a part of the scenery itself. Therefore  the artist offers the observer the possibility to reflect his own position.
Since 2012 Jessica Halm has been working with the sculpural enlargements of her paintings.
As a rule her sculptures stand in direct connection to her paintings as in the presentation of her works The Artist’s Wife and Observer II (Betrachter II) in 2013.  Here also a sculpture with a reduced formal language takes the position of the observer. Wooden boards are hinting at legs and feet. Particularly the positioning of the feet is of importance because it points to the direction of the figure. A singular arm is attached to the lower part of the body. As in other three dimensional works the arm is made out of cloth. Here also the assembly of the body parts reminds one of a person who turns towards the painting. 
The Artist’s Wife and Observer II (Betrachter II) meet each other for the first time in a small and narrow room. The intimate inscenation in the exhibition room was appropiate to the subject of the painting. For her work J. H. copied the painting Interior, The Artist’s Wife (1889 from the Danish artist P.S. Kroeyer which shows a women who looks into a hand mirror and is combing herself. Being occupied with her self-image she does not notice that she is being observed.
The visual relationships between the model, the artist and the observer are of interest to Jessica Halm. The theme of observing and being observed – the play with looking – continues to have an influence in her version of the painting. She refers directly to the voyerism in Kroeyer’s painting but denies the observer the permission to become part of the situation. As opposed to the encounter of Bizarro Baby and Observer I (Betrachter I) the narrow room and the positioning of the painting do not allow this. The sculpture becomes a source of irritation. The place of the observer is occupied, he remains outside. He no longer is the point of reference in the intimate composition of the painting. The blank position in the picture is filled by the sculpture. One could almost speek of the sculpture as a type of a prothesis which Stepps into the position of the real observer and therewith makes visible the observation. Here Halm also plays with the tautology of the moment of observation. 
In her installation Back into the Planet Gala (The yellow House) (2014) the artist picks up the subject of the voyeuristic view so frequently painted at the end of the 19th century. The painting Je femme se poudrant (1889–90) by Georges Seurat, which she copied also, shows a woman in an interior. She is sitting at a small table looking into a mirror and holding a powder puff in her hand. She also does not take any notice of the observer and is totally concentrated on her own image. As if a citation Jessica Halm imbeds the small painting into the abstract painting. A yellow sculpture standing very close to the painting points in its emergent form to the scene of Seurat and guides the view of the observer towards it.  In this type of installation the intimate scene of the interior is much more exposed than in the one described of P.S. Kroeyer. Conceptually conceived for a presentation in a glass cabinet hanging on a wall, these works were subsequently exhibited individually, so that the sculpture which before seemed like a ‚growth’ coming out of the abstract painting, changed. This way the sculpture gains in its plasticity and can claim in a singular presentation its 360 degree sculptural qualities.
This process of extracting is examplary of the handling of her works of the artist.
According to the context Jessica Halm lets her paintings and sculptures step out in different formations. Always it is a carefully thought through composition. Even though they were originally planned as a unit the works do not inevitably (necessarily) represent a fixed ensemble. As a type of „hyperimage“ they express in their interplay the moment of observation.
In the transparency of her way of working the artist therefore offers to the recipient the  possibility to observe her works from different perspectives as well as different aspects of her work. She sensitizes the observer to the plurality of the ways of perceiving, also makes clear that there is not only one viewpoint.

 

Merle Radtke


The unlimited creative power of resonance chambers

 

A hearty almost primordial creative experience and an interplay between painting and sculpture, helped shape in 2013 the solo exhibition titled „ Atelier Emozioni", in the Hamburg Gallery „Feinkunst Krueger".The transforming echo of this led to Jessica Halms new body of work. This being supported on the one hand by ancient historical references, Egyptian art and hieroglyphics, as well as the more modern paintings of the Impressionists.
The fascinating somewhat scary, snake like monster sculpture „Doll“, from the previous exhibition,is now superseded by a sovereign egyptian couple sitting on their thrones. A replica of a sculpture of Rahotep and Nefret, a married couple from the IVth dynasty of the Old Egyptian Empire. When the excavators of the late 19th century opened the Mastaba at Meidum in lower Egypt, the inlaid glass eyes had such a strong impact on them that they immediately left the scene horrified. Jessica Halm's pair may also trigger a shock due to the intense color - monochromatic lemon yellow for the throne as well as for the sewn together and subsequiently painted canvas figures. If one walks along the longitudinal axis of this years exbibition - „ The Limited Powers of Retention“ - in Ralf Kruegers Gallery you will be drawn, from a distance, by the enormous luminosty of velvety shimmering oil paint which has sunken deeply into the canvas material. Once you see not only the feet with their thick spread out toes, but also see the egyptian couple in all their glory, will you almost stumble over a pair of bright red feet with tentacle-like over long boney toes, seeming to suggest that you may be on some nonsensical( looney, crazy) path.
As if in an extended visual echo chamber the two enthroned figures are placed between a painting - „ Open Window" a delicately tinted, etheral atmospheric space radiating light, as weightless as a Fata Morgana of paradise –and the painting opposite – „Double View“  carefree strokes drawn on the canvas in blue and blackish tones – as a configuration an empty center – reminiscent of the large expansive canvas - „Never ending Doll Painting“ – from the previous exhibition, whose center instead of being occupied by the Monster Doll was captured by a montrous blue foot. The faceless torso of a man is only to be seen – with reference to Aby Warburgs (bewegten Beiwerks) phantom images, which in a cool emotional way surround and seem to infect him. The observer trapped in a projection of longing, may find himself gazing into this space as if looking into an empty mirror,  and considering the „Ancient Pair“ enveloped in silence, ask who and what is here.
The tactile presence in Jessica Halm's previous work is in her current work devoid of visual resonances, an artistic handling of the images, not only with colors and light as well as sketched forms but also including the paintings – new are - and dealing with pictorial motives are the Monotypes. A branch of Egyptian art seems to have played a causative
role, namely hieroglyphic picture writing. Amongst the Monotypes is a sheet – „An ancient Tale“ - rows of modern
hieroglyphs, sketchy drawings appear as first ideas for paintings or sculptures,sometime in scenic syntax, an allusive narrative context maintains suspense. Moreover it seems an open question, as to whether the sketches are connected or merely a loose association fabric of the imagination, free flowing thoughts given a calligraphic form.
In any case they are paraphrased in other monotypes, as in a facing couple whose silhouettes are formed from such characters, whole body flowing enigmatic thought runways, merging with the negative white shadows and the space that surrounds them. Monotypes are oil paint on a glass surface as a print block, and paper for the impression, in two, sometimes three stages of printing, there will often be wet, paint scraps left on the print. Almost dry oil paint, still left on the print block,can be used for a second print. As, for example, in the case of the standing couple, seen now as a hazy negative , immersed in a shadowy gray space as fleeting white shadows. The result of this ingenious printing technique produces two things. On the one hand, the results, also for the artist and although she she has gained experience while working with this quasi alchemical process, not entirely predictable. This abandoment of absolute control, however is not only accompanied by a moment of surprise, but also the emerging prints appear to be from another world.
The sketches tend to loose definition during this process and due to a second thin application of color appear as blurred apparitions. To be seen also in the series „Die Rippen rechnen“ (The Ribs are counted) with their brittle scanned lines of ribs. At the same time a levitating impression, comparable to the role of light seen in impressionist paintings, have also been a source of inspiration for Jessica Halm. The Impressionists Plein air (outdoor) painting is not easily reproduced in standard art books – due to the dominance text layout (Psalter) – usually printed in vertical format.
In upright impressionist paintings, claims the artist, the voluminous 19th century, hooped skirts seem to have difficulty finding enough space. Why not, supported by Plein air levitation, ilt and tip the motives in all directions or smuggle in,
for example,  as in the circular Tondo „Impressionistic Skirt“ which has a plexus of flickering red and green optical illusions. In any case the view from the icono-graphic path will be diverted by a dynamic sign language
into a fluid medium, before motivic inquisitive ladies in hooped skirts carrying parasols, couples sitting
in a thicket, a painter at his easal etc., can be filtered out. Who can say, that just standing upright  is enough. Even the Egyptian Hieroglyphics and out door painting permitted an occasional change in the rules, possibly Jessica Halm is in her series „Forces of Gravity“ making a humerous reference with the can can, sunwheel, swinging leg that is whirling around the stars monotype. In a multi facetted way the sculptures, paintings and print material are in Jessica Halms current exhibition iconographically and visually interconnected. „The Limited Power of Retention“ was the daring breakout of „Power of Retention“ her previous exhibition. Her latest show has configured the ambivalence of passion in a new way,
one could say, the observer with his own open questions is confident, and with warmth and humour envolved.
The band that joins the sweeping historical and extensive sensitive area of motivic work, connect and arise out of the resonance chamber, and allows it as a visual medium, to reverbate in an exciting way.  The shadows coming from Plato's Cave, from which the monotypes „A and E and  the Allegory of the Cave“ alluded to those mentioned in the beginning, the Hieroglyphic sheet, the Eygptian Pair and their modern counter parts as well as the rediscovered white shadows, will
not be deminished as illusionary. On the contrary they are as fascinating as
ever – representatives of the not to be extinguished voice of desire.

Ursula Panhans-Bühler, Text Katalog The limited Powers of Retention, 2015